Beschreibung
Von "Vatermord" und "Verleumdung" war die Rede, doch der Text ist vor allem ein Dokument des Abschieds, der Trauer, der Liebe. FOCUS Keine Abrechnung, aber persönliches Zeugnis einer schmerzhaften Loslösung. .... ...Der packende,äußerst abwechslungsreiche Erzählmodus passt gut zum vielschichten Anliegen. Deutschlandradio Kultur ..., sondern eine temperamentvolle, wütend-verzweifelte, bittere, hilflose, melancholische, angriffslustige, manchmal auch müde, aber keine Viertelsekunde lang den Leser ermüdende Reflexion auf den Abschied, den sein Vater Walter Jens genommen hat. Frankfurter Rundschau
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Autorenportrait
Tilman Jens, geb. 1954 in Tübingen, lebt als freier Autor in Frankfurt/M. Schon als Schüler bestand am späteren Berufswunsch kein Zweifel. Journalist: Reisen und Schreiben. Mit 15 Jahren erste Versuche beim Schwäbischen Tagblatt und bei der Sylter Rundschau. Abitur auf der Odenwaldschule. Studium in Konstanz. Daneben, zunächst in den Semesterferien, erste Filmbeiträge für das "Bücherjournal" des NDR-Fernsehens. Bald darauf regelmäßige Mitarbeit in der ttt-Redaktion des Hessischen Rundfunks. Seit Mitte der 80er Jahre verstärkt auch Arbeit an längeren Formaten. Über 100 Fernsehfeatures, meist für die ARD, in denen Jens die Schnittstellen von Kultur, Theologie und Politik interessieren, sei es im Porträt des Dirigenten Kurt Masur oder in der kritischen Dokumentation über christlichen Fundamentalismus oder die Aktivitäten der Sekte "Scientology". Von der ersten Ausgabe an: Arbeit für 3sat-Kulturzeit. Sechs Buchpublikationen über Uwe Johnson, Mark Twain, Goethe und seine Opfer - und, viel diskutiert, über die Erkrankung seines Vaters Walter Jens, der Bestseller: Demenz. Abschied von meinem Vater, 2009. Als Antwort auf die leidenschaftliche Debatte um das Vaterbuch: 2010: Vatermord - wider einen Generalverdacht. 2011 : die persönliche Rückschau auf die Jahre in einem skandalumwitterten Internat: Freiwild - die Odenwaldschule. Ein Lehrstück von Opfern und Tätern.
Leseprobe
ICH GEH DANN MAL NACH OBEN Eine angestaubte Video-Kassette, mit rotem Kuli beschriftet. Sterbehilfe: Papi. 13. August 2001. Fernseh-Aufnahmen. Wir saßen am Neckar in einem Stocherkahn, der Hölderlin-Turm: vis-a-vis, und unterhielten uns über die letzten Dinge. Ob ein Mensch, zumal ein Christ, der unheilbar krank sei, von Schmerzen gepeinigt, nicht mehr er selbst, sich wirklich ergeben in sein Schicksal fügen müsse, bis ihn Gott endlich erlöse - oder ob es nicht doch ein Recht auf ein selbstbestimmtes Ende in Würde gäbe, ein Recht auf Euthanasie im ursprünglichen Sinne des Worts, ein Recht auf einen schönen, gnädigen Tod. Die Sonne strahlte und der damals 78-jährige, der sagte, er sei nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte, war sich seiner Sache ganz sicher. Auf dem unter der großen Trauerweide vertäuten Kahn hat er den freundlichen Tod beschworen, den ein Mensch, der auf keine Heilung mehr hoffen kann, mit Fug und Recht ersehne: dem sollte ich im Zeichen der Liebe helfen können. Immer wieder hat er, leger im weißen Hemd, auf den Arzt Max Schur verwiesen, der den todkranken Sigmund Freud mit einer Überdosis Morphium von seinem qualvollen Krebsleiden erlöste: Er wusste, einer wird Dir beistehen - wir könnten unendlich viel gelassener leben, wenn wir wüssten: ein Arzt oder eine Ärztin wird Dir helfen, den kleinen Übergang erleichtern. Und dann hat er, höchst entspannt, mit einem Lächeln hinzugefügt, dass er im Fall eines Falles auch einen Max Schur habe, der, wenn es soweit ist, aus Nächstenliebe dem Willen seines Patienten folgen wird. Es ist düster und kalt, als ich mir das Band mit unserem Gespräch Jahre später noch einmal ansehe. Meine letzte Frage damals hatte ich lange vergessen, den Einwand, Freud habe Rachenkrebs, unerträgliche Schmerzen gehabt, was aber wäre, wenn Du Alzheimer hättest? Darf das ein Sohn fragen? Ich durfte. Und mein Vater war in seinem Element. Wenn die Autonomie des Menschen nicht mehr im Zentrum steht, wenn ich nicht sagen kann, Tilman, Du siehst selbst, es ist an der Zeit - ich sage mit dem Mann da oben - er meinte nicht Gott, sondern den Dichter des Hyperion, der in seinem goldgelben Neckarturm fast 40 Jahre lang dem Tod entgegendämmerte - ich sage mit Friedrich Hölderlin: April, Mai und Junius sind ferne, ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne. dann möchte ich das mir von Gott geschenkte Leben zurückgeben. Was ihm Angst machte, war die Vorstellung, einer unheilbaren Krankheit, einem endlosen Siechtum wehrlos ausgeliefert zu sein: Ich will sterben nicht gestorben werden. Seitdem sind sieben Jahre vergangen. Und kaum etwas erinnert mehr an den Mann, der mir einst im Kahn gegenübersaß. Nachts, wenn der große Hunger kommt und das Schlafmittel keine Ruhe mehr gibt, strampelt er sich frei. Die nasse Windel plagt. Er hat genug gedämmert. Langeweile hat er sein ganzes Leben gehasst. Er will raus hier. Irgendwohin. Unter seinem Bett steht ein beiges Kästchen, das jüngst angeschaffte Babyphon, das jede Regung des alten Mannes ins Schlafzimmer meiner Mutter überträgt. Sie habe sich an den heiseren Atem, an das Röcheln und Husten im Lautsprecher allmählich gewöhnt. Geht schon - diese verfluchten Beschwichtigungs-Formeln, an die sie selbst schon lang nicht mehr glaubt. Er tastet sich zum Lichtschalter, schaut sich um in seinem kargen Krankenlager, das einmal das kaum weniger karge Gästezimmer meines Tübinger Elternhauses war, ein in seiner Radikalität liebenswertes Abbild protestantischer Bescheidenheit: Raufasertapete, abwaschbar. Das Klappbett, hinter Kiefernfurnier versteckt. Mein ausrangierter Schülerschreibtisch. An der Decke eine Lampe, deren Milchglas ich demolierte, als ich 13 war. Der rote Teppichboden hat Flecken bekommen. Das letzte Bild, der Butt mit den vielen Gräten, ein Geburtstags-Geschenk von Günter Grass zum 60., wurde vor zwei Jahren auf Drängen seines damaligen Pflegers von der Wand genommen: Gell, Herr Jens, das beunruhigt Sie nur. Unruhe gibt es genug, all die Menschen, d Leseprobe