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Der Himmel über Meran

Erzählungen

Erschienen am 08.08.2005
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446206670
Sprache: Deutsch
Umfang: 142 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 19 x 12 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein Sohn verbringt die Nächte am Kopfende des Bettes seines sterbenden Vaters, und er folgt mit Blicken immer mehr der Pflegerin Laura. Eine Mutter schleicht nachts mit der Taschenlampe durchs Haus und weckt ihre Familienmitglieder mit einem Lichtstrahl ins Gesicht. Ein Liebespaar verlebt das Ende seiner Liebe am Meer, und als einzige Gemeinsamkeit ist Ihnen die Nähe ihrer Füße geblieben. Joseph Zoderer erzählt von Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen - in einer klaren, nüchternen und zugleich ungemein starken Sprache.

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Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
pina.lore@hanser.de
Kolbergerstaße 22
DE 81679 München

Leseprobe

Den Himmel über Meran kenne ich nicht. Obwohl ich unter ihm geboren bin an einem Novembermorgen. Obwohl dort meine Eltern begraben sind (unter einem stetig sich verändernden Himmel). Ich bin von dort weggeführt worden an der Hand meines Vaters oder meiner Mutter oder eines Geschwisters, war also nicht alleine am Abschiebebahnhof Meran-Untermais, vierjährig, ohne genug Zeit gehabt zu haben, den Typus Wind unserer Gegend - Westwind oder Südwind - kennenzulernen. Es war für mich zu früh, die Palmwedel auf der Kurpromenade zu bemerken, vielleicht aber waren sie mir so selbstverständlich gegenwärtig wie der Schnee auf den Bergen ringsum oder im Sommer die Weinpergeln auf den Hügeln. Für mich war der Meraner Himmel das Gesicht meiner Mutter, das sich über mich gebeugt hat, und dieser Himmel hat sich fünfmal teilen müssen, wir waren eine kinderreiche Familie. Und auch dieses verdanke ich Meran (wenn nicht noch anderes mehr): die Dufterinnerung, ja ich erinnere mich an den Bodengeruch unserer Parterrewohnung, an die Nähe, die sich ergab von der Matratze aus, die platt auf dem Erdboden gebreitet lag, und der Übersicht, die unsere Katze wohl noch besser hatte als ich - die Muina schlief bei mir und ich roch nicht nur ihr warmes Fell, ich roch die Küche, auch die Angst im Haus vor dem Auswandern, gewiß roch ich nicht den Himmel über Meran. Eher schon die Schuhcreme auf meines älteren Bruders Lackschuhen, auf die er so stolz war, die er immer bewundert hatte an den Füßen der noblen Kurgäste, und in denen er nun, d.h. damals im Jänner neunzehnvierzig, jämmerlich fror, während wir auf dem Bahnhof Meran-Untermais auf den Zug 'Heim ins Reich' warteten. Wir waren die Kinder eines ehemaligen Ho­­­­telhausmeisters, also auch Hotelschuhputzers, und zuletzt (unter Mussolinis Regime) eines Lang­zeit­­ar­beitslosen. Wir stehen unter dem Vordach dieses Meraner Nebenbahnhofs in Untermais, und ich bin seit einem guten Monat vier Jahre alt - ich habe gewiß den Himmel über dem Bahnhof gesehen, aber ich weiß nicht, ob er blaukalt oder graukalt war, jedenfalls hat es weder geregnet noch geschneit. Mir war Meran damals nicht so wichtig, wichtiger war mir meine Katze, die ich zurücklassen mußte. Ich war ein Kind unter scheinbar ähnlichen Himmeln über alpinem Raum, mit Sonne, Regen, Nebel und Schnee und manchmal dem Wind in den Bäumen. Ganz gleich, ob in Meran oder Graz. Besser aber kenne ich den Himmel über Graz, dorthin sind wir gekommen, weil Hitler und Mussolini die Südtiroler hatten entscheiden lassen, wer deutsch bleiben oder Italiener werden wollte. Ein politischer Handel, den fast neunzig Prozent der betroffenen Bevölkerung nicht durchschaute, ich Vierjähriger dachte, wir wären nach Graz gefahren, weil dort der Patenonkel meines Bruders lebte, und der Pate war ihm noch die Firmuhr schuldig. O ja, die Unterschiede zwischen dem einen und dem anderen Himmel habe ich allmählich herausbekommen. Anfangs saß ich ja noch mit selbstgebastelter Roßkastanienpfeife im Grazer Volksgarten mit Mutter und Schwestern unter einem friedlichen Himmel, weit und breit fiel keine Bombe. Ich holte mit oder ohne Begleitung jeden Morgen das Brot für den Tag beim Bäcker 'Blechschmied', einem Eckhausladen gegenüber dem Portal der St. Andrä-Kirche. Im Turm dieser Kirche, sozusagen eine Etage unter den Glocken, hatte der Sohn des Mesners ein Refugium, eine Kammer der Geheimnisse eingerichtet, so breit, wie der schlanke Durchschnitt des Turmes war. Für uns Buben (drei, vier Ministranten) war es der Ort aller Wunder, schon das Hinaufsteigen über die hölzerne, leicht vibrierende Stiegenleiter nahm mir fast den Atem, aber angekommen in diesem abgezirkelt engen Raum hoch über den Hausdächern fühlten wir uns dem Himmel so nah wie nirgends zuvor, es war fast wie kurz vor dem Fliegenkönnen. Dennoch interessierte mich das Innere dieser Turmzelle mehr als die vorbeiziehenden Wolken. Ich wundere mich heute, wie gut dies alles ausging für uns Kinder. Denn neben d ... Leseprobe

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